Thursday, December 9, 2010

Warum ist Glas durchsichtig?

Diese Frage ist nicht wirklich neu. Ich habe sie schon öfter gehört und konnte mich nur noch vage an die Erklärungen erinnern. Nun wurde sie mir von einem Bekannten gestellt, dessen Tochter schon vor vielen Jahren danach fragte (die Tochter war damals 4 Jahre, inzwischen ist sie ziemlich erwachsen; aber danke Günter für die Wiederholung der anregenden Frage). Als ich nun eine Antwort auf die Frage zu geben versuchte, wurde mir erst klar, dass alles was zum Verständnis notwendig ist, in meiner eigenen Vorlesung über Festkörperphysik vorkommt. Aber ich habe die Dinge noch nie so kombiniert, wie es für die Beantwortung dieser Frage notwendig ist.

Ich möchte die Frage für einen geordneten Festkörper diskutieren und dann darauf eingehen, warum dies auch für Glas weitgehend zutrifft, obwohl Glas bekanntermaßen ein amorpher Stoff ist. Ein geordneter Festkörper ist ein Kristall. Alle Atome (oder Moleküle) sind in Reih und Glied perfekt regelmäßig angeordnet. Dadurch sind nur bestimmte örtliche Schwingungen der Atome und bestimmte Anregungen der Elektronen möglich.

Licht wiederum ist eine elektromagnetische Schwingung, die sich im Raum ausbreitet. Das Wort Strahlung möchte ich hier vermeiden, da es heutzutage weitgehend negativ besetzt ist. Aber ohne Licht (von der Sonne kommend) könnten wir gar nicht leben. Das Licht besteht aus elektrischen und magnetischen Feldern, die sich abwechseln und gegenseitig erzeugen. Licht ist aber nichts Materielles. Licht kann nicht direkt mit Atomen zusammenstoßen. Licht kann aber die Elektronen eines Atoms zum Schwingen anregen und wenn die Frequenz, bzw. die Energie passt, kann das Licht absorbiert werden. Dabei wird eine Lichtportion, das ist ein Lichtquant, ein Photon vernichtet und dessen Energie vom Atom aufgenommen. Energieerhaltung muss unbedingt gelten, das ist eines der Grundgesetze der Physik (solange nicht eine Umwandlung von Energie in Masse oder umgekehrt stattfindet – in Einklang mit der allgemeinen Relativitätstheorie – aber dann ist Masse eine andere Energieform und das Erhaltungsgesetz ist wieder in Ordnung).

Licht ist quantisiert und kann nur in Portionen abgegeben oder aufgenommen werden. Da kommen wir nicht drum herum. Das hat Einstein bei der Erklärung des photoelektrischen Effekts behauptet und dafür den Nobelpreis bekommen (wohl aus Verlegenheit – die spezielle und allgemeine Relativitätstheorie waren noch zu umstritten). Max Planck wollte das anfangs nicht so ganz ernst nehmen obwohl er selbst für die Berechnung der Schwarzkörperstrahlung eine Quantisierung des Lichtes angenommen hat, aber es hat sich als absolut richtig herausgestellt und den Beginn der Quantenmechanik eingeläutet. Die Quantenmechanik war nach der Relativitätstheorie der zweite große Paradigmenwechsel in der Physik des zwanzigsten Jahrhunderts. Mit Paradigmenwechsel meint man, dass die Grundfesten auf denen die gesamte Physik ruht (eigentlich ruht sie gar nicht) geändert werden müssen.

Mit der Relativitätstheorie erkannte man, dass es keine einheitliche Längenskala und keine einheitliche Zeit im Weltall gibt. Alles hängt vom Bewegungszustand des jeweiligen Beobachters ab. Raum und Zeit sind somit nicht vorgegeben und es befinden sich darin Gegenstände sondern, sondern Raum und Zeit werden erst durch die Objekte selbst festgelegt. Die Quantenmechanik besagt, dass sowohl Materie als auch Licht in (kleinen) Portionen, d.h. Quanten vorhanden ist. Gleichzeitig hat aber beides auch Wellencharakter. Dies stellt nach der klassischen Physik einen Widerspruch dar, da hätte man gesagt, etwas ist entweder Teilchen oder Welle. Aber nach dem Verständnis der modernen Physik besitzen die Dinge beide Eigenschaften und je nach der Art der Beobachtung (des Experimentes) tritt entweder die eine oder die andere Eigenschaft in Erscheinung. Darauf sind nicht einmal die griechischen Philosophen gekommen, obwohl die gedanklich fast alles durchgedacht haben. Die Betonung liegt auf „durchdacht“ nicht auf gewusst. Bei der Quantenphysik kommt dann noch dazu, dass bestimmte Eigenschaften von Objekten nur mit einer bestimmten Wahrscheinlichkeit vorhergesagt werden können und prinzipiell nicht mit absoluter Sicherheit, aber darauf wollen wir nicht weiter eingehen.

Zurück zum Licht. Es ist also nicht nur so leichtfertig dahergesagt, dass Licht nur in ganz bestimmten Portionen aufgenommen oder abgegeben werden kann – nein da steckt die Erkenntnis vieler Gelehrter und eines halben Jahrhunderts dahinter. Und genau diese Portionierung, bzw. Quantisierung ist der tiefere Grund, warum Glas durchsichtig ist.

Die elektromagnetische Strahlung kann fast beliebige Wellenlängen besitzen. Für das menschliche Auge sind Wellenlängen in einem ganz kleinen Bereich zwischen etwa 400 und 700 Nanometer (abgekürzt: nm) sichtbar. Die kurzen Wellenlängen sind für das Auge als blaues Licht, die langen als rotes Licht sichtbar. Die anderen Farben liegen dazwischen, bzw. sind Mischungen der unterschiedlichen Wellenlängen. Wenn wir Glas als durchsichtig bezeichnen meinen wir, dass diese sichtbaren Wellenlängen durchgehen, es sagt aber nichts über andere Wellenlängen aus. Tatsächlich ist Glas für die meisten anderen Wellenlängen nicht durchsichtig. Warum ist dies so?

Aufgrund der Quantenphysik kann Licht nur in bestimmten Energiemengen aufgenommen werden. Aber auch in einem Festkörper sind alle Zustände im Inneren quantisiert, auch hier gelten die Gesetze der Quantenphysik. Wegen der Energieerhaltung muss nun die Energiemenge eines Photons (Lichtquants) genau der Energiedifferenz zwischen zwei Zuständen im Festkörper entsprechen, damit die Absorption möglich ist. Und genau hier liegt das Problem. In einem geordneten Festkörper sind wegen der Gleichartigkeit der Atome und der Ordnung auch die Energiezustände einheitlich. Im gesamten Objekt sind nur ganz bestimmte Übergängen zwischen diesen einheitlichen Zuständen möglich und nicht beliebige. Dies ist der große Unterschied zu einem ungeordneten festen Körper. In diesem ist aufgrund der unterschiedlichen Atome und Moleküle und aufgrund der unterschiedlich starken Wechselwirkungen wegen der ungeordneten Anordnung so eine großes inneres Durcheinander vorhanden, dass so gut wie alle möglichen Energiezustände und auch alle möglichen Energiedifferenzen vorkommen. Es kann praktisch jedes Lichtquant in Einklang mit der Energieerhaltung absorbiert werden. Die Ordnung macht den Unterschied aus.

Um welche inneren Zustände handelt es sich? Es sind einerseits gemeinsame, mechanische Schwingungen der Atome und andererseits die Zustände der Elektronen im Kristall. Die gemeinsamen Schwingungen der Atome sind sogenannte Gitterschwingungen, bzw. da auch diese quantisiert sind tragen sie den Namen Phononen. Diese besitzen allesamt niedrige Energien und können nur kleine Energiemengen pro Absorptionsprozess aufnehmen. Wir haben die Größe der Energiemengen von Licht noch nicht näher diskutiert. Die Energie hängt einzig von der Wellenlänge des Lichtes ab. Je kürzer die Wellenlänge ist, umso größer ist die Energie, und je länger die Wellenlänge desto kleiner die Energie. Die kleinen Energiemengen der Phononen führen daher zu einer Absorption von Licht im langwelligen, infraroten Bereich, der vom Auge nicht wahrgenommen wird.

Die elektronischen Zustände besitzen ebenfalls aufgrund der regelmäßigen Anordnung der Atome nur bestimmte Energiezustände, die mit den sogenannten Energiebändern beschrieben werden. In den möglichen Zuständen kann jeweils nur ein einziges Elektron (wenn man den Spin ebenfalls in unterschiedlichen Zuständen beachtet) untergebracht werden, auch das ist wieder eine Folge der Quantenphysik (Stichwort Antisymmetrie von Elektronenzuständen, bzw. Pauli-Verbot). Wenn in einem Kristall ein solches Energieband vollkommen aufgefüllt ist, so können die Elektronen nur in Zustände in ein leeres Energieband mit viel höherer Energie angeregt werden und das hierbei absorbierte Lichtquant liegt im kurzwelligen, ultravioletten Bereich, der vom Auge ebenfalls nicht mehr wahrgenommen wird. Für das sichtbare Licht gibt es in geordneten Festkörpern aber keine anderen inneren Anregungen, die die Energiemengen des sichtbaren Lichtes aufnehmen könnten.

Wie anfangs erwähnt, ist Glas aber kein perfekt geordneter Kristall sondern ein amorpher Festkörper. Aber in Glas herrscht nicht so viel Unordnung wie man vielleicht meinen würde. Glas ist sehr ähnlich zu Quarz, einem sehr schönen absolut geordneten Kristall, nämlich Bergkristall. Allerdings sind in Glas auch andere Atom beigemischt, sodass etwas Unordnung entsteht. Über etwas größere Abstände hinweg sind die Atome nicht mehr in Reih und Glied und es würden zunächst manchmal die Möglichkeiten fehlen, sodass alle Elektronen in einer chemischen Bindung im Inneren untergebracht werden können. Aber durch die Beimischung eines entsprechenden Anteils Wasserstoff, können auch die restlichen Elektronen eine Bindung eingehen und es sind keine freien Elektronen vorhanden, die bei sichtbaren Energien angeregt werden können. Auch die Gitterschwingungen sind weitgehend wie in einem perfekten Kristall. Aufgrund der Unordnung die dennoch im Glas herrscht, kommen im Unterschied zum perfekten Kristall elektronische Anregungen zu einem kleinen Teil auch schon bei etwas niedrigeren Energien und Gitterschwingungen ebenfalls zu einem kleinen Teil schon bei etwas größeren Energien vor, aber diese reichen nur so minimal in den sichtbaren Teil des Lichtspektrums hinein, dass Glas praktisch durchsichtig ist.

Die Durchsichtigkeit von Glas liegt letztlich daran, dass es keine passenden Energiezustände im Inneren gibt, die die Energie des Lichtes aufnehmen könnten. Und dies ist nur dadurch zu verstehen, dass sowohl die Energie des Lichtes als auch die inneren Zustände von Glass durch die Gesetze der Quantenphysik zu beschreiben sind.

2 comments:

  1. Schön, die Notwendigkeit der etwas 'unappetlichen' Quantenphysik so vor Augen zu führen.

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  2. Entschuldigen Sie meine vielleicht naive Frage. Warum ist der Bergkristall dann transparent und nicht opak ?

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